ProjectBacker ELC AG, Teufenthal

Energiesparender Winterbetrieb

#3000

Eisenbahnweichen müssen in der kalten Jahreszeit von Eis und Schnee befreit werden. Die Hitze kommt von fest montierten Heizelementen. Die Teufenthaler Backer ELC AG entwickelt mit der Hochschule Luzern HSLU ein System, das die Heizstäbe einzeln ansteuert.

Die Schweiz ist ein Hochlohnland. Was sich so einfach sagt, hat für zahllose fertigende Unternehmen im Land eine existentielle Bedeutung: Die vergleichsweise hohen Löhne erzeugen einen permanenten Kostendruck.

Christoph Frey, CEO von Backer ELC, kennt sich mit dieser Dynamik aus. Er führt das traditionsreiche Industrieunternehmen seit über 20 Jahren, erlebte den Verkauf der damaligen Electrolux-Einheit an die ebenfalls schwedische Nibe-Gruppe im Jahr 2011, die Umbenennung in Backer ELC sowie den Umzug von Aarau auf das Teufenthaler Injecta-Areal. Geblieben ist in all der Zeit nur eines: Die heute 50-köpfige Firma produziert und verkauft elektrische Heizstäbe; in Magnesiumoxid gebettete Widerstandsdrähte, umhüllt von rostfreiem Stahl, gebogen in komplexen Formen nach Kundenwunsch.

Das Geschäft von Backer ELC ist die Bereitstellung von Prozesswärme. Die Kunden kommen aus der Nahrungsmittel-, Kunststoff- und Maschinenindustrie. Dazu gesellen sich Bahnunternehmen aus der Schweiz und dem überwiegend
europäischen Ausland, die ihre Weichenheizungen aus Teufenthal beziehen. Im Inland liegt der Marktanteil bei rund 95 Prozent.

Der Umsatzanteil der Weichenheizungen am Gesamtgeschäft pendelte lange um die 20 Prozent. «Doch wir merkten, dass es zäher wurde. Unsere Preise waren zu hoch»,

sagt Christoph Frey.

Er entwickelte eine auf Innovationen beruhende Vorwärtsstrategie, die es erlauben sollte, das Preisniveau mindestens zu halten. 2020 erhielt er von der Konzernleitung grünes Licht.

Das grösste Optimierungspotential identifizierten die von Backer ELC beauftragten Ingenieure beim Stromverbrauch der Weichenheizungen. Allein auf dem Netz der SBB werden über 7000 Weichen beheizt; pro Weiche sind bis zu 16 Heizstäbe montiert; die installierte Gesamtleistung beträgt 130 Megawatt, etwas weniger als die Stromproduktion des Kraftwerks Sihlsee im Vollbetrieb.

Da die Bahnunternehmen an ihren Weichen aus Sicherheitsgründen keine beweglichen Teile – zum Beispiel Wärmedämmungen – dulden, kam für die energetische Optimierung nur die Steuerung in Frage; zumal der letzte grosse Effizienzsprung einige Jahre zurückliegt.

Punktgenaue Regelung statt Schwellenwerte

Damals rüstete man die Weichen mit Temperaturfühlern aus, welche die Heizstäbe beim Erreichen gewisser Schwellenwerte ein- oder ausschalteten. Jetzt plante Backer ELC den nächsten Schritt: Jedes Heizelement steuert sich
selber und produziert bei Kälte und Schneefall genau die Wärmemenge, die es braucht, um den störungsfreien Weichenbetrieb zu garantieren.

Ein Ingenieurbüro auf dem Injecta-Areal stellte den Kontakt zum HTZ her. 2021 führte der HTZ-Experte Beat Bachmann mit Backer ELC eine Patentrecherche am Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum durch.

«Wir wollten wissen, welche Ideen auf dem Gebiet der Weichenheizung schon geschützt waren und wo Konflikte mit den Inhabern bestehender Rechte drohen konnten»,

erklärt Bachmann.


Als klar war, dass die Bahn buchstäblich frei war, erstellte Backer ELC das Pflichtenheft für das Projekt mit dem internen Namen «iHeat». Es war sowohl hardware- wie softwareseitig ambitioniert: Die Steuerungseinheit sollte auch unter den widrigsten Witterungsbedingungen verfügbar und einfach zu verbauen sein. Die Software musste sich in bestehende Heizungssteuerungen integrieren lassen und dem Bahnpersonal zusätzliche Funktionalitäten zur Verfügung stellen.

Für die vom HTZ finanzierte Machbarkeitsstudie holte Bachmann das Kompetenzcenter Fluidmechanik und numerische Methoden des Instituts für Maschinen- und Energietechnik der Hochschule Luzern ins Boot. Ein Team von Professor Ulf Müller erhielt den Auftrag, mithilfe eines digitalen Weichenmodells zu untersuchen, wie sich die Wärmeübertragung von den bis zu acht Meter langen Heizstäben auf die Weiche optimieren liesse.

Parallel dazu wurde in Teufenthal ein Steuerungsmodul entwickelt, das sich auf die Stromanschlüsse der Heizstäbe montieren lässt; ein gut fingerdicker «Anschlusskopf» mit diversen Sensoren und einer Leiterplatte im Innern, welche die anfallenden Temperatur- und Betriebsdaten verarbeitet.

Im Herbst 2023 gleiste das HTZ ein Folgeprojekt auf; diesmal mitfinanziert vom Forschungsfonds Aargau. Das Team der Hochschule Luzern erhielt die Mittel, den digitalen Zwilling eines ganzen Bahnhofs zu erstellen. Dann folgte der Rückschlag: Bei Simulationen mit dem neuen Anschlusskopf stellte sich heraus, dass die dezentrale Steuerung der Heizstäbe nicht zu den erhofften energetischen Einsparungen zwischen 20 und 30 Prozent führt. «Wir lagen eher zwischen 10 und 15 Prozent», erzählt HTZ-Experte Bachmann.

Mit anderen Worten: Das angestrebte Alleinstellungsmerkmal – tiefere Betriebskosten dank Energieeffizienz – war zwar noch vorhanden, aber bei weitem nicht so ausgeprägt wie erhofft. Aufgeben war für Christoph Frey indes keine Option. Der Weg von der Idee zum fertigen Produkt sei immer eine Bergund-Talfahrt, erklärt der 54-jährige Manager: «Jetzt ging es darum, die geringeren Einsparungen mit anderen Produkteigenschaften und tieferen Kosten zu kompensieren.»

Die Stellschrauben sind definiert. Erstens soll die angepeilte Einsparleistung mit weniger Anschlussköpfen erreicht werden. Zweitens soll die Einbaulogistik weiter vereinfacht werden. Und drittens soll eine erweiterte Sensorik einen zusätzlichen Kundennutzen im Bereich der vorausschauenden Wartung kreieren.

Testen ohne Feldversuche

«Bei alledem», so Christoph Frey, «profitieren wir enorm von unserem digitalen Zwilling.» Der Grund: Die Ideen der Ingenieurinnen und Softwareentwickler lassen sich am Bildschirm implementieren und auf ihre Wirksamkeit testen. Langwierige Feldversuche erübrigen sich.

Im kommenden Herbst soll es so weit sein: An der InnoTrans, der Leitmesse der internationalen Bahnindustrie in Berlin, will Backer ELC den Vorhang lüften. «Ich bin zuversichtlich», so Christoph Frey, «dass wir mit unserer neuen, smarten Steuerung bestehende Kunden halten und neue gewinnen können.»

«Mit der Hochschule Luzern HSLU und dem HTZ konnte eine schon länger verfolgte Produktidee in kurzer Zeit umgesetzt werden.»

Beat Bachmann, HTZ-Experte

Interview: «Wachsende Datenbibliotheken»

Tim Arnold ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kompetenzcenter Fluidmechanik und numerische Methoden der Hochschule Luzern. Sein Spezialgebiet sind digitale Zwillinge von Anlagen und Maschinen.

Sie modellieren für Backer ELC das Schienensystem eines ganzen Bahnhofs. Wie gehen Sie vor?
Die Arbeit an einem digitalen Zwilling – oder einer 1D-Simulation, wie wir sagen – beginnt mit der Suche nach bereits vorhandenem Datenmaterial. Beim Projekt «iHeat» profitierten wir von Labormessungen der SBB. Wir wussten, wie sich Schienen unter den verschiedenen Formen der Wärmeübertragung – Strahlung, Konvektion und Wärmeleitung – verhalten. Wie sich die Materialeigenschaften je nach Art des Stahles und der Intensität des Rostbefalls verändern, ist aus der Literatur bekannt.

Kommt es oft vor, dass Datenmaterial in der erforderlichen Qualität vorliegt?
Es gibt immer mehr Betriebe, die in der Forschung und Entwicklung auf 1DSimulationen setzen. Viele von ihnen stellen die Resultate, die sie aus ihren Projekten gewinnen, auch Dritten zur Verfügung. Die Bestände der online verfügbaren Daten- und Programmbibliotheken wachsen konstant. Und damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man beim Aufbau eines digitalen Zwillings nicht bei null anfangen muss.

Jedes digitale Modell muss vor dem Einsatz mit Realweltdaten kalibriert werden …
… auch hier hatten wir Glück. Backer ELC war in der Vergangenheit mit der Deutschen Bahn in Kontakt. Die DB hatte während des Winters 22/23 im Bahnhof Titisee eine Weiche mit fünf Thermometern ausgerüstet. Ich erhielt ein File, das es mir ermöglichte, die Temperaturen an der Weiche über fünf Wochen im Viertelstundentakt zu rekonstruieren. Die dazugehörigen Witterungsdaten bezog ich aus Wetterarchiven. Dann optimierten wir unser Modell so lange, bis es in der Lage war, das Geschehen in Titisee wiederzugeben.

Bei den Tests mit dem virtuellen Gesamtsystem – Weichen, Heizstäbe und Steuerungen – zeigte sich, dass die energetischen Effekte der Einzelansteuerung der Heizstäbe tiefer lagen als erhofft. Wie sagt man es dem Kunden?
Die 1D-Simulation leistete, was man von ihr erwartet: sie zeigt uns am Bildschirm, was in der Realität funktioniert und was nicht. Deshalb sah das Team von Backer ELC schnell das Positive: mit dem digitalen Zwilling können wir
nun weitere Ideen durchspielen.

Auf einen Blick

Das HTZ führte mit Backer ELC eine Patentrecherche beim Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum IGE durch und stellte den Kontakt zur Hochschule Luzern her. Auf eine Machbarkeitsstudie folgte ein zweites Projekt, das vom Forschungsfonds Aargau mitfinanziert wurde.

Das 3000. Innovationsprojekt des HTZ

Die Firma Backer ELC setzt auf Innovation

Vertreter des Hightech Zentrum Aargau, der Hochschule Luzern und der Firma Backer ELC kamen in Teufenthal zu einer kleinen Feier zusammen. Angestossen wurde auf das 3000. Innovationsprojekt des Hightech Zentrums mit einem Aargauer Unternehmen.

Das Hightech Zentrum Aargau (HTZ) begleitet und unterstützt Unternehmen bei Innovationsprojekten. Das Leistungsangebot umfasst eine Beratung, die Analyse von Märkten und Technologiefeldern, die Suche nach den passenden Forschungspartnern und die Begleitung in der Umsetzungsphase.

«Die Schweiz hat keine Bodenschätze, unser Wohlstand hängt von der Umsetzung guter Ideen ab», erklärte HTZ Geschäftsführer Martin Bopp in seiner kurzen Ansprache vor der Belegschaft von Backer ELC.

Christoph Frey, der Geschäftsführer von Backer ELC pflichtete ihm bei. Sein Unternehmen produziert auf dem Injecta-Areal beim Bahnhof Teufenthal elektrische Heizstäbe für industrielle Anwendungen; unter anderem Weichenheizungen für Bahntrassen. «Über 90 Prozent der in der Schweiz verlegten Bahnweichen werden im Winter mit unseren Heizstäben von Eis und Schnee befreit», sagte Frey.

Allerdings steht das Unternehmen mit seinem 50 Mitarbeitenden unter grossem Preisdruck durch ausländische Anbieter. Deshalb suchte Backer ELC den Kontakt zum HTZ, das wiederum das Institut für Maschinen- und Energietechnik der Hochschule Luzern ins Boot holte.

Markteintritt im kommenden Herbst

Zusammen arbeiten die Partner seit zwei Jahren an einer Steuerung, die den Energiebedarf ‒ und damit die Betriebskosten ‒ der Weichenheizungen markant reduzieren soll. Geht alles nach Plan, kommt die Innovation im kommenden Herbst auf den Markt. «Wir sind zuversichtlich, dass wir mit dieser Steuerung bestehende Kunden halten und neue gewinnen können», erklärte Christoph Frey.

Für das Hightech Zentrum Aargau war das Projekt «iHeat» das 3000 Innovationsprojekt mit einem Aargauer KMU. Geschäftsführer Martin Bopp und Technologieexperte Beat Bachmann brachten deshalb drei Torten mit, die bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Backer ELC grossen Anklang fanden.

Zum Abschluss der kleinen Feier überreichten die HTZ-Vertreter der Geschäftsleitung von Backer ELC einen Innovationscheck über 2000 Franken. Christoph Frey nahm ihn gerne entgegen: «Diesen Zustupf können wir gebrauchen. Wir haben noch viele Ideen».

Artikel im Wynentaler Blatt

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