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«An der Empa habe ich das beste aus beiden Welten»

Seit rund einem halben Jahr leitet Lorenz Herrmann das Empa-Department «Advanced Materials and Surfaces». Im Interview erläutert er, in welchen Bereichen er mit neuen Materialien Fortschritte erzielen möchte, warum Grundlagenforschung essenziell ist für den Innovationsprozess – und wie sich die Forschung an der Empa von der an einem industriellen Forschungszentrum unterscheidet.

Lorenz Herrmann, als neuer Departementsleiter an einem Materialforschungsinstitut eine simple Frage: Was ist Ihr Lieblingsmaterial?
Ganz klar: Kohlenstoff.

Das kam schnell – warum gerade dieses Element?
Kohlenstoff hat mich bisher stets begleitet: Ich habe in der Festkörperphysik zu mechanischen und elektronischen Anwendungen von Kohlenstoffnanoröhren geforscht. Dann war ich lange in der Industrieforschung im Elektrotechnikbereich, dort waren polymere Isolationswerkstoffe ein Thema, die ebenfalls auf Kohlenstoff basieren, oder Graphitelektroden für Batterien. Kohlenstoff ist einerseits extrem vielseitig, eignet sich also für unzählige Anwendungen; andererseits aber auch extrem wichtig in unseren Materialkreisläufen. Den Kohlenstoffkreislauf zu schliessen ist ganz entscheidend für unsere Umwelt und das Klima.

Wie kommt ein gelernter Festkörperphysiker wie Sie eigentlich zur Materialforschung?
Ich kam aus der Grundlagenforschung und wollte die Brücke schlagen zur praktischen Anwendung. Mich hat damals Energietechnik fasziniert – auch heute noch ein aktuelles Thema. Der Auslöser war das Projekt «DESERTEC», das Solarstrom in der Wüste erzeugen und nach Europa bringen wollte. Damals hab' ich mich umgeschaut, wo man Festkörperphysik, Materialforschung, Energie- und Elektrotechnik verbinden kann – so kam ich ans ABB-Forschungszentrum, wo ich dann an Materialien für die Energieübertragung gearbeitet habe.

Was reizt Sie persönlich an Ihrer neuen Rolle besonders?
Ich habe mich bisher, wenn man so will, zwischen zwei Welten bewegt – der akademischen Grundlagenforschung und der angewandten Forschung in der Industrie. Hier an der Empa kann ich beide zusammenbringen – ich habe sozusagen «the best of both worlds». Was mich extrem fasziniert am «Modell Empa» ist einerseits der hohe wissenschaftliche Anspruch, andererseits der Fokus auf praktische Anwendungen.

Welche Rolle spielt denn Grundlagenforschung in einer Forschungsinstitution, die sich selbst als «anwendungsorientiert» und industrienah beschreibt?
Es geht an der Empa letztlich darum, einen technologischen Mehrwert für Industrie und Gesellschaft zu schaffen: also einerseits die Grundlagen zu erarbeiten für noch unbekannte Anwendungen, andererseits aber auch die Schweizer Industrie im Hier und Heute zu unterstützen. Nach meiner Erfahrung – insbesondere auch in der Industrie – muss man wissenschaftlich top sein, um Unternehmen wirklich helfen zu können. Für inkrementelle Weiterentwicklungen brauchen sie uns nämlich nicht, das können sie sogar meist besser. Man darf also nicht einfach «Entwicklung» duplizieren für ein Unternehmen, sondern muss wirklich neue Aspekte einbringen, also das, was man als disruptive Innovation bezeichnen könnte. Und genau das wollen die Unternehmen auch – etwas, was sie selbst nicht auch «in-house» haben oder können. Das schafft man nur durch erstklassige Forschung. Unsere Arbeit ist dem Entwicklungsprozess sozusagen vorgeschaltet, muss dann aber transferierbar und anwendbar sein – das ist die Kunst.

In welchen Anwendungsfeldern sehen Sie die grössten Chancen, mit neuartigen Materialien etwas zu bewirken?
Im Bereich Digitalisierung könnten etwa neuartige Graphen-Nanostrukturen die Grundlage für völlig neue Devices liefern, bei den man deren industrielle Herstellung von Anfang an mitdenkt. Dabei geht es im Kern um robuste Quantenmaterialien für künftige Anwendungen wie Quantencomputer und -sensoren. Das unterscheidet sich fundamental von vielen bisherigen Ansätzen, bei denen die Herstellung und die Robustheit der Devices eher im Hintergrund stehen und man in erster Linie quantenphysikalische Effekte an Modellsystemen untersucht, oft bei extrem tiefen Temperaturen. Im Bereich nachhaltiger Materialien müssen wir den Kreislaufgedanken konsequenter umsetzen; ich denke da zum Beispiel an polymere Kompositwerkstoffe, die heute schwer rezyklierbar sind. Und im Energiebereich sehe ich beispielsweise grosses Potenzial in der Herstellung neuartiger, günstigerer Solarzellen, etwa durch einfache Druckverfahren. Ausserdem sehe ich Fortschritte im «Power-to-Gas»-Bereich und in der Batterietechnik als weitere essentielle Bausteine.

Was steht nun als erstes auf Ihrer Agenda?
Ich bin hier extrem gut aufgenommen worden, darüber habe ich mich sehr gefreut. Ich war zunächst darauf konzentriert, mich intern zu vernetzen und möglichst alle Themen kennenzulernen. Nun steht die Vernetzung nach aussen im Zentrum, zu unseren Stakeholdern in Industrie, Forschung und Politik. Und dann möchte ich natürlich gerne erste strategische Impulse setzen und mithelfen, die oben genannten Themen einen Schritt weiterzubringen.

Zur Person

Nach einem Physikstudium an der Universität Regensburg und der Ecole Normale Supérieure in Paris promovierte Lorenz Herrmann ebenfalls an diesen beiden Hochschulen zum Thema Kohlenstoffnanoröhrchen und deren Anwendung in der Nanoelektronik. 2010 ging er ans ABB-Forschungszentrum in Dättwil, wo er zuletzt das Departement «Energy Technologies» leitete. Seit August 2022 leitet er das Empa-Departement «Moderne Materialien und Oberflächen».

Text: Michael Hagmann
Quelle: https://www.empa.ch/web/s604/interview-lorenz-herrmann