Rund 150 Gäste aus Wirtschaft und Gesellschaft, Politik und Medien, Lehre und Forschung sowie zwei Kantonsschulklassen wurden am Dienstag in Brugg von Dr. Marcus Morstein, dem Leiter des Schwerpunkts Werkstoff- und Nanotechnologien des Hightech Zentrums Aargau, begrüsst. Dessen Fokussierung wurde von Geschäftsführer Dr. Martin A. Bopp umrissen: „Die Werkstoff- und Nanotechnologien decken ein breites Spektrum ab, von sogenannten Top-Hype-Themen der Grundlagenforschung bis hin zu Anwendungen an der Schwelle zur Industrialisierung. Am Hightech Zentrum Aargau fokussieren wir uns vor allem auf die zweite Gruppe.“ Seit 2013 haben die Technologie- und Innovationsexperten des Hightech Zentrums Aargau insgesamt 371 Nanoprojekte betreut, davon 112 Projekte mit Hochschulen. Auch wurden 88 eigene Nano-Veranstaltungen durchgeführt. Das Hightech Zentrum Aargau hat die Geschichte der Liaison zwischen dem Kanton Aargau und den Nanotechnologien dokumentiert. Bopp stellte die Nanobroschüre vor.
Regierungsrat Alex Hürzeler betonte, der Kanton Aargau habe früh Weitsicht bewiesen: Noch während das befristete nationale Schwerpunktprogramm zur Förderung der Nanowissenschaften in Umsetzung war, sei der strategische Plan gereift, die Nanokompetenz in Forschung und Ausbildung weiterhin zu bündeln. Auch sollte das erreichte Wissensniveau erhalten und weiter angehoben werden. 2004 – also vor 15 Jahren – beschloss die Aargauer Regierung, sich an der Finanzierung einer Institution mit nationaler Ausstrahlung zu beteiligen und die Nanotechnologien nachhaltig zu fördern. Auf Initiative des Aargaus und der Universität Basel wurde 2006 das Swiss Nanoscience Institute (SNI) in Basel gegründet. Das SNI ist national und international hervorragend vernetzt. Es fungiert als leistungsfähiger Beschleuniger für fokussierte Forschung und Entwicklung. Das Hightech Zentrum Aargau, das 2013 die Arbeit aufnahm, machte die Werkstoff- und Nanotechnologien von Beginn an zu einem seiner Tätigkeitsschwerpunkte. Regierungsrat Hürzeler erklärte, ein Hauptziel des Kantons Aargau habe stets darin bestanden, der regionalen Wirtschaft Impulse zu vermitteln: „Bis heute hat sich im Kanton Aargau ein hervorragendes Umfeld zur Nano- und Innovationsförderung entwickelt und bestens etabliert.“
Prof. Dr. Jens Gobrecht, ehemaliger Leiter Labor für Mikro- und Nanotechnologie am Paul Scherrer Institut PSI, strich die Highlights des Aargauer Engagements für die Nanotechnologien heraus. Zusätzlich zur Forschungsförderung durch das SNI erwähnte Gobrecht die zwei Professuren und die „Doktorandenschule“ in Basel. Zudem investiert das Förderprogramm Nano Argovia im Bereich der angewandten Forschung jährlich rund 1,5 Millionen Franken. Die Aargauer Förderbeiträge seien international anerkannt. Unterstützt werde die gesamte Kette von der Wissenschaft bis zur konkreten Anwendung. Das PSI verfüge dank der neuen Grossforschungsanlage SwissFEL (Freie-Elektronen-Röntgenlaser) über eine „einzigartige Infrastruktur für die Nano-Wissenschaften“, betonte Gobrecht. Der Kanton Aargau hatte sich mit 30 Millionen Franken an der Errichtung der SwissFEL-Anlage beteiligt.
Den Nano-Blick über die Landesgrenze hinaus schärfte Dr. Christoph Steinbach von der deutschen Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie DECHEMA. Er erinnerte daran, dass auf allen fünf Kontinenten Nano-Forschung betrieben und teilweise mit hohen Fördersummen operiert werde. Laut Angaben von Beratungsunternehmen seien seit 2010 allein in Europa umgerechnet mehr als 5 Milliarden Dollar für die Förderung der Nanotechnologien investiert worden. Allerdings seien die hohen Erwartungen nicht immer erfüllt worden. Abgesehen von den Risiken, die mit jeder Forschungstätigkeit verbunden seien, spiele auch eine „quälende Sicherheitsdiskussion“ eine Rolle und mitunter verhalte sich die Industrie „übervorsichtig“, sagte Steinbach. Die DECHEMA zählt mehr als 5800 Mitglieder, davon über 650 Unternehmen. Zu ihren Aufgaben gehört es unter anderem, Trends in Forschung und Technologie zu identifizieren. Allein die Fachgruppe Nanotechnologie hat 500 Mitglieder.
Steinbach erinnerte daran, wie gross das Feld der Nano-Anwendungen heute ist. Mittels Nanotechnologien entstehen einerseits neuartige Produkte, andererseits werden neue Produktionsprozesse entwickelt. Nano-Anwendungen spielen bei Batterien und in der Wasserreinigung ebenso eine Rolle wie in der Medizin. Zu den „heissen Themen“ mit starkem Nano-Bezug zählt Steinbach namentlich das Energiefeld und die Medizin.
Über eines der grössten internationalen Nano-Forschungsprogramme orientierte Prof. Dr. Rositsa Yakimova, emeritierte Professorin für Materialwissenschaften der Universität Linköping in Schweden und Mitgründerin des Spin-Offs Graphensic AB. Das „Graphene Flagship“ ist eines der bisher grössten EU-Forschungsförderprogramme. 2013 wurde das auf zehn Jahre angelegte Programm gestartet. Insgesamt werden bis zu einer Milliarde Euro investiert, die Hälfte davon von der EU-Kommission. Nationale Quellen und Partnerunternehmen finanzieren die andere Hälfte. Forschungsgegenstand ist das Material Graphen. Von diesem „zweidimensionalen Wundermaterial“ aus reinem Kohlenstoff erhoffen sich zahlreiche Forscher vielversprechende nanotechnologische Anwendungen. Graphen-basierte Materialien weisen besondere Eigenschaften auf. In Verbundwerkstoffen erhöhen Graphene die Festigkeit von Kunststoffen. Auf eine geeignete Oberfläche aufgebracht, ermöglicht es bereits eine Schicht aus einer einzigen Lage Graphen, ultra-empfindliche Sensoren zu bauen oder in Touchscreens teurere Materialien wie Silber zu ersetzen. Erprobt werden auch zahlreiche weitere Anwendungen in der Mikro- und Nanoelektronik sowie in der Medizin. Physiker der University of Manchester erhielten 2010 den Nobelpreis für die erstmalige Herstellung von Graphen anno 2004.
Nanomaterialien auf dem Weg zur Industrialisierung: Mit dieser Thematik setzte sich Prof. Dr. Pierangelo Gröning auseinander, der Leiter des Departements „Moderne Materialien und Oberflächen“ und Leiter des Forschungsschwerpunkts „Nanostrukturierte Materialien“ der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa. Nanomaterialien werden laut Gröning bereits lange und in grosser Vielfalt und Menge industriell eingesetzt. Auch was die begriffliche Definition angeht, plädiert Gröning für eine Differenzierung: „Nanotechnologie ist keine Technologie im eigentlichen Sinne, sondern die heute gängige wissenschaftliche Methodik, um neuartige oder bessere Materialien sowie smartere Systeme zu entwickeln.“
Dr. Marcus Morstein vom Hightech Zentrum Aargau präsentierte mit „nano.swiss“ ein neues Programm, das seit Dienstag als Website online ist: Eine interaktive Community-Plattform für Werkstoff- und Nanotechnologien. Sie ist neutral, unabhängig, kundenzentriert und soll eine nationale Ausstrahlung erhalten. Die Nanotechnologien stellen ein Querschnittsthema dar, an dem eine Vielzahl von Fachrichtungen hängt. Dazu Morstein: „Besonders in der Nanotechnologie haben viele KMU Schwierigkeiten, eine Brücke zur Forschung zu schlagen, um neue, innovative Materialien und Technologien nutzen zu können. Vielen potenziellen Anwendern fehlt die Übersicht über die Schweizer Forschungs- und Innovationslandschaft.“ Hier setze nano.swiss an. Es werden Unternehmen ausserhalb des Nano-Bereichs wie auch Nano-Profis angesprochen. Ihnen wird der Zugriff auf Netzwerke ermöglicht und somit ein einfacher Zugang zu aktuellem Wissen und technologischen Trends angeboten. Anwender finden eine nützliche Suchfunktion, was Materialien, Querschnittsthemen und Anwendungen betrifft.