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Die europäische Medizintechnik wird umgepflügt

Als Reaktion auf Skandale wegen schadhaften Medizinprodukten wurden die Zulassungsverfahren in der EU massiv verschärft. Das Hightech Zentrum Aargau verfügt über die Kompetenz, um interessierte Firmen sicher durch den Vorschriftendschungel zu lotsen.

Bausilikon, 400’000-mal in Brustimplantaten eingesetzt; Knie- und Hüftprothesen, verunreinigt mit Mineralöl und verantwortlich für über 2000 Revisionsoperation; Vollmetallprothesen, deren Abrieb zu Schäden bei Patienten führten: diese und andere Skandale veranlassten die EU-Kommission, die Zulassungsbedingungen für Medizinprodukte drastisch zu verschärfen. Im Mai 2017 wurden zwei Verordnungen, die Medical Device Regulation (MDR) und die in-vitro Device Regulation (ivDR) in Kraft gesetzt Die Übergangsfrist endet im Mai 2020 für die MDR und im Mai 2022 für die iVDR. Alle neuen Medizinprodukte und alle Produkte, die rezertifiziert werden, müssen dann die neuen Vorschriften erfüllen, um die Zulassung zu erhalten. Wegen einem ganzen Bündel von Gründen stellen diese Verordnungen die gesamte Branche der europäischen Medizintechnik vor riesige Schwierigkeiten. Die Unternehmenslandschaft wird förmlich umgepflügt werden.

Die Zulassungsmechanik

Um besser zu verstehen, was die Unternehmungen erwartet, ist die Mechanik des Zulassungsverfahrens zu betrachten. Im Gegensatz zu pharmazeutischen Produkten werden Medizinprodukte nicht durch eine Behörde zugelassen. Sie werden vom Hersteller mit einem CE-Kennzeichen ausgezeichnet und kommen dann gesetzeskonform auf den Markt. Ein CE-Zeichen aufdrucken und das Produkt vermarkten – das tönt einfach, aber das ist es nicht. Eine private Firma mit hoheitlichen Rechten gibt das Produkt frei. Diese Firma muss selber nach einer strengen behördlichen Prüfung die Akkreditierung für eine bestimmte Produktgruppe erhalten haben. Erst danach fungiert sie als „Konformitätsbewertungsstelle“(KBS) oder „Notified Body“. Für etliche Produktegruppen hat keine KBS um eine Akkreditierung ersucht. Der Grund: die KBS muss für alle Produktgruppen, die sie auditieren will, neben Wissenschaftlern, Medizinern und Ingenieuren auch Fachpersonal aus dem betreffenden Anwendungsgebiet einsetzen können.

In der EU und unter den zusätzlichen Binnenmarktteilnehmern haben nur gerade 38 Firmen um eine Akkreditierung ersucht. Einige von ihnen haben ihr Gesuch zurückgezogen. Sieben Monate vor Ablauf der ersten Übergangsfrist gibt es ganze fünf akkreditierte Firmen. Dass diese Tausende von technischen Produktdokumentationen rechtzeitig prüfen können, ist schlicht unmöglich. Auch die zurzeit diskutierte Verlängerung um ein Jahr dürfte hierfür kaum ausreichen.

Damit die Konstanz der Produktqualität sichergestellt ist, muss neben dem Importeur und dem Hersteller neu auch der Hersteller von wichtigen Teilen, z.B. Software, über ein besonderes Qualitätsmanagementsystem verfügen.

Drei Risikoklassen

Die Medizinprodukte werden je nach Gefährdungspotential in eine von drei Risikoklassen mit Unterklassen eingeteilt:

- Risikoklasse I umfasst Produkte mit geringem Risiko, z.B. Gehhilfen. Für diese Produkte kann der Hersteller in eigener Regie die Konformität erklären. Neu gibt es in Klasse I drei Untergruppen: I s für sterile Produkte, z.B. Heftpflaster, I m für Produkte, die etwas messen, z.B, eine Personenwaage für Praxen und Spitäler, und I r für Produkte, die wiederholt gebraucht werden, beispielsweise Skalpelle, Nadeln, Meissel usw. Die technische Produktdokumentation der Produkte der Unterklassen müssen durch eine KBS geprüft und die Konformität muss freigegeben werden.

- Risikoklasse II gliedert sich in die Untergruppe II a: Produkte mit einem gewissen Anwendungsrisiko, die aber normalerweise nicht lange mit dem Körper in Kontakt stehen, z.B. Einwegspritzen, Trachealtuben oder Ultraschallgeräte. Zur Untergruppe II b gehören Produkte mit einem erhöhten methodischen Risiko, beispielsweise Anästhesiegeräte, Dialysegeräte, Infusionsgeräte usw.

- Risikoklasse III umfasst Produkte mit besonders hohem methodischem Risiko wie Herzkatheter, Stents usw., künstliche Gelenke und Brustimplantate. Für alle diese Produkte muss eine KBS die Technische Produktdokumentation prüfen. Das Produkt selbst wird von der KBS nicht geprüft.

Umfangreiche Datenerhebung

Die technische Dokumentation enthält die vollständige Historie des Produkts, inklusive jene der Lieferkette, alle Prüfungen und deren Ergebnisse, inklusive klinische Studien, sowie alle Meldungen von Ärzten und Patienten. Für alle Medizinprodukte muss ein Post Market Surveillance System (PMS) etabliert werden. In diesem Rahmen werden Praxisdaten über das Produkt vom Hersteller oder Inverkehrbringer aktiv im Markt erhoben und ausgewertet.

Zusätzlich zur Erhebung von Daten muss ein Plan zur Korrektur bzw. Verhinderung von Fehlern („Corrective and Preventive Action“, CAPA) aufgebaut und umgesetzt werden. Ein konformes Produkt muss neben der ISO-Norm 13485:2016 auch ein Risk-Assessment nach IOS 14971:2012 und alle zugehörigen harmonisierten Normen erfüllen. Für die gesamte Medizintechnik sind dies mehrere hundert Normen.

Die EU ist am Aufbau der Datenbank EUDAMED. Alle Unternehmen, die Medizinprodukte herstellen oder importieren, müssen die „Single Registration Number“ (SNR) beantragen. Für die Medizinprodukte selber wird ebenfalls eine Nummer benötigt, die „Unique Device Identification“ (UDI). Das elektronische, weitgehend öffentlich zugängliche Dossier enthält Beschreibung, Gebrauchsanweisungen und Historie eines jeden Medizinprodukts.

Ist dieser Dschungel an Vorschriften, Normen, Verfahren und Prozessen für Sie Neuland? Und Sie wollen in der Medizinaltechnik, in der In-vitro-Diagnostik oder in einem entsprechenden Softwarebereich tätig werden – sei es als Hersteller, Importeur oder als Software-Entwickler? Wir vom Hightech Zentrum Aargau unterstützen Sie gerne dabei, sich zurechtzufinden. Je nach Fragestellung können wir auch unsere Partnerorganisationen Swiss Medtech oder das Institut für praxisorientierte Qualifizierung (IPQ) beiziehen.