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Ein überraschend innovatives Werkstoffthema: Strassenbeläge

Am 14. Dezember fand am Hightech Zentrum Aargau in Brugg erstmals ein Workshop zum Thema «Nachhaltige Strassenbeläge» statt. Inspiriert von Referaten aus Industrie und Forschung zu Themen wie Digitalisierung, Material- und Prozessentwicklungen, Lärmschutz und kühlen Strassenbelägen entwickelte sich ein  intensiver Austausch unter den Teilnehmenden. Dabei wurde klar, dass dieses gesellschaftlich relevante Gebiet rasche Innovationen erfordert, aber auch viel Potenzial für konkrete Verbesserungen bietet. Organisatoren, Referenten und Teilnehmende waren sich daher einig: Das Thema soll unbedingt in diesem Rahmen weitergeführt werden.

Die Anlassreihe «Materials IQ» wird gemeinsam durch den Schwerpunkt Werkstoff- und Nanotechnologien des Hightech Zentrums Aargau und den Verein Innovative Oberflächen gestaltet. Ein Schwerpunkt sind Themen aus der Bauwirtschaft. Diesmal standen neue Werkstoffe und Verfahren für nachhaltige und emissionsarme Strassen im Fokus.

Für den aktuellen Anlass war Prof.Dr. Pietro Lura von der Empa mit an Bord, der auch das Programm massgeblich gestaltete.  In seiner Einführung setzte er den Rahmen mit vier Themen, zu denen sein Labor forscht: Verringerung der Belagsemissionen (Lärm und Wärme), Reduzierung von Ressourcenverbrauch und Abfall, Wiederverwendung und Recycling und Speicherung von Kohlenstoff zur Reduzierung von CO2-Emissionen. Und am Schluss durfte man auch einmal träumen: Vielleicht werden dereinst neue Ansätze wie Robotic Pavements helfen, unsere knappen Ressourcen noch effizienter einzusetzen!

Entwicklungen und Erfahrungen aus der Praxis

Als erster Referent präsentierte Bruno Schwager, Geschäftsführer der Langenthaler Ammann-Tochter Q Point AG den – in diesem Kontext auf den ersten Blick überraschenden – Aspekt der Digitalisierung in der Steuerung des Bauprozesses für Strassenbeläge. Die Kontrolle der richtigen Temperatur direkt in der Legemaschine und der anschliessenden, dem jeweiligen Material angepassten Verdichtung sind bei Q Point Teil einer umfassenden Gesamtlösung, welche auch die Planung, Produktion  und Bereitstellung der Belagmateralien mit einschliesst. Damit lassen sich über den gesamten Bauprozess Störfaktoren reduzieren und eine bessere Qualität und Lebensdauer des Asphalts sicherstellen.

Dr. Tobias Balmer, Leiter F&E der Berner Weibel AG, ging auf werkstoffliche Aspekte des Asphalts ein. Denn zunehmend sollen Strassenbeläge dazu beitragen, dass sich Innenstädte und andere dicht bebaute Flächen im Sommer nicht so stark aufheizen – eine Problematik, die sich im Zuge der Klimaerwärmung noch verstärken wird. Vielverspechende Ansätze sind hier einerseits die Verwendung eines helleren Korns, das in den oberflächennahen Regionen der Fahrbahndecke das Sonnenlicht beser reflektiert. Zudem kann die Porosität des Materials so eingestellt werden, dass auch noch nach Tagen gespeicherte Feuchtigkeit des letzten Regens abgegeben wird und über den Verdunstungseffekt eine Kühlung eintritt. So besteht Hoffnung, dass sich durch Kombination mit weiteren Massnahmen Wärmeinseln in Städten in Zukunft vermeiden lassen.

Lösungen für wichtige Probleme

Wichtige Ansätze für ein dringliches Problem präsentierte Dr. Reto Pieren, Gruppenleiter Umweltakustik bei der Empa. Der Strassenverkehr ist die bedeutendste Lärmquelle in der Schweiz, gemäss einer aktuelle Studie betrifft hier der Strassenlärm tagsüber 1.2 Millionen und nachts immer noch 700'000 Menschen. Dazu kommen nochmals 420'000 Personen, die an ihrem Arbeitsplatz zu hohem Strassenlärm ausgesetzt sind. Damit verursacht der private, motorisierte Strassenverkehr direkte und indirekte Kosten von geschätzten 2.2 Milliarden Schweizerfranken.

Aber warum sind unsere Strassen eigentlich nicht leise? Pieren lieferte Antworten. In Optimierungen der inneren Struktur des Asphalts liege viel Potenzial zur Geräuschdämpfung, ebenso in einer speziellen Oberflächentextur, die die Rollgeräusche direkt am Interface Reifen-Belag dämpft. Natürlich muss man die geforderte Lebensdauer weiterhin erreichen und eine «akustische Alterung» der Materialien so gut es geht vermeiden. Um solche Aspekte besser untersuchen und bewerten zu können, braucht es gemäss Pieren künftig noch bessere Analysen des Materials und insbesondere flächendeckende Messdaten, sei es aus Messstellen in der Strasse oder aus Sensoren in Fahrzeugen.

Dr. Olivier Enger, Senior Innovation Manager bei der BASF Schweiz, brachte noch die Chemie ins Spiel. Schon heute wird Bitumen nämlich mit polymeren Zusatzstoffen versetzt (Polymermodifiziertes Bitumen, PMB) mit dem Ziel, die mechanischen Eigenschaften des Bitumenmaterials zu verbessern, insbesondere die Elastizität bei niedrigen Temperaturen, aber auch die Festigkeit, Kohäsion und Beständigkeit gegen Ermüdung und Verformung. Ein neu entwickeltes Additiv der BASF bietet nochmals mehr: Es zielt auf eine Vereinfachung der Wertschöpfungskette in der Asphaltindustrie und bessere Resilienz (Near Sourcing) bei der Fertigung von Strassenbelagsmaterialien. Als «Rejuvenatoren» verbessern solche leistungsfähigen Additive zudem die Recyclingfähigkeit von Strassenbelägen und sind dereinst vielleicht der Weg zu einem «kalten Asphalt» und damit zu enormen CO2-Einsparungen.

Eine erfreuliche Dynamik

Zahlreiche innovative und praxistaugliche Lösungsansätze wurden in Brugg präsentiert, die sich teils bereits in der praktischen Erprobung befinden, teils noch weitere Entwicklungsarbeiten bis zur Umsetzungsreife erfordern. Zweifelsohne ist der Verbundwerkstoff Asphalt, bestehend aus Korn, Binder und Additiven, ein komplexes Werkstoffthema, das lange Zeit traditionell gehandhabt wurde und daher noch viel Potenziel für Entwicklungen bietet.

Nun scheint aber Schwung in Verständnis und die Entwicklung verbesserter Materialien gekommen zu sein. Neue, sogar digital unterstützte Prozesse tragen dazu bei, dass «die Leistung auch auf die Strasse gebracht wird». Diese neue Dynamik ist auch erforderlich, denn hier werden enorme Materialmengen bewegt und Energiemengen verbraucht.

Materials IQ bietet für diese Entwicklungen eine Open Innovation Plattform und bereits im ersten Anlauf fand sich erfreulicherwiese ein funktionierendes Netzwerk entlang der Wertschöpfungskette zusammen. Auch kantonale Stellen – als Auftraggeber, Endanwender und oft auch wichtige Entwicklungspartner – waren gut vertreten. Und: das persönliche Format, so zeigte sich einmal mehr, ist essentiell für einen guten Austausch.

Wir freuen uns auf eine Fortsetzung im 2022!

 

(nano.swiss/MMo) – Weitere Photos (M. Morstein, HTZ) finden Sie beim Anlass.