News

Intelligente Materialien auf dem Vormarsch

Im Fokus einer neuen Workshop-Serie des Hightech Zentrums Aargau in Zusammenarbeit mit dem NTN Innovative Oberflächen stehen Sensoren und Aktuatoren, die immer öfter auch Alltagsprodukte smarter machen.

Er lag richtig, jener Strukturentwickler des amerikanischen Flugzeugherstellers Boeing, der um die Jahrtausendwende für 2020 Strukturen – Bauteile – prognostizierte, «die zu uns sprechen werden». Hinter dieser Vorhersage steckte die Vision von intelligenten, sensorischen Materialien. Heute schätzen Fachleute, dass neue Materialien die Grundlage für etwa 70 Prozent aller Technik-Innovationen weltweit sind. Das Hightech Zentrum Aargau (HTZ) engagiert sich seit mehreren Jahren auch auf diesem Feld: Die Werkstoff- und Nanotechnologien bilden einen thematischen Schwerpunkt des HTZ. Eine seiner zentralen Stärken ist sein grosses Netzwerk von anwendungsnahen Forschungseinrichtungen.

Sensoren und Aktuatoren: Know-how und Trends aus erster Hand

Am 24. November 2020 fand – als kostenlose Online-Veranstaltung – der Auftakt-Workshop zu einer neuen Reihe statt, die 2021 physisch fortgeführt wird. Die Affiche: Neue Anwendungen sensorischer und aktuatorischer Materialien. Der Workshop wurde vom HTZ in Brugg aus gestreamt. Als Co-Organisator wirkte Dr. Jörg Güttinger vom Nationalen Thematischen Netzwerk (NTN) Innovative Oberflächen mit.

Zum Zielpublikum der Workshop-Reihe gehören die Hersteller von Endprodukten und Komponenten, aber auch die Entwickler von neuen Technologien und innovativen Werkstoffen. Den Teilnehmenden wurden einerseits Forschungsarbeiten präsentiert, andererseits Anwendungsbeispiele aus der Industrie. Namhafte Referenten vom Adolphe-Merkle-Institut der Uni Fribourg, dem CSEM, der Empa und der Firma Huntsman sowie drei Nachwuchsforscher mit kurzen «Latest Research Pitches» gaben die nötigen Impulse, um die Diskussion mit den Teilnehmern zu stimulieren.

«Auch diese Workshops werden als Plattform für den Austausch von topaktuellem Know-how konzipiert», erläutert Dr. Marcus Morstein, Leiter des HTZ-Schwerpunktbereichs Werkstoff- und Nanotechnologien, und ergänzt: «Wir wollen all jene Akteure ansprechen, die sich über aktuelle und zukünftige Möglichkeiten mit sensorischen und aktuatorischen Materialien informieren wollen oder die Partner für eine Produktintegration suchen.» Aktuatoren wandeln elektrische Signale um, zum Beispiel in mechanische Bewegung.

Für viele Unternehmen wichtig

Erste Sensoren und Aktuatoren wurden bereits Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelt. Aber die Arbeit in Labors und Werkstätten ist auch in diesem Bereich alles andere als stehen geblieben. Im Gegenteil: Forschung und Entwicklung haben in den letzten Jahren Kunststoffe, Metalle, Keramiken und Strukturen für immer anspruchsvollere industrielle Anwendungen hervorgebracht. Die fortschreitende Digitalisierung – Stichwort Industrie 4.0 – spielte und spielt dabei eine Schlüsselrolle. Im Zentrum stehen Materialien, die über ihre angestammten (intrinsischen) Eigenschaften äussere Reize aufnehmen und darauf reagieren können. «Dies eröffnet grosse Innovationspotenziale und kann für intelligente Funktionalitäten genutzt werden», sagt Marcus Morstein. Diese Schlüsseltechnologie ist schon heute für zahlreiche Schweizer Unternehmen in vielen Branchen von grosser Bedeutung.

Schnittstelle zwischen analog und digital

Auch in Alltagsprodukten finden sich immer häufiger miniaturisierte und vergleichsweise kostengünstige Sensoren und Aktuatoren. Sie bilden die Schnittstelle zwischen der analogen und der digitalen Welt. Oberflächen, beispielsweise, erfüllen heute bei zahlreichen Produkten wesentlich mehr als die ursprüngliche Schutzfunktion, nämlich intelligente Funktionalitäten. Sie nehmen Reize aus der Umgebung – Licht, Druck, Temperatur, Töne etc. – wahr, reagieren darauf und lösen bestimmte Prozesse aus. Sensor- und Aktuator-Funktionen können auf der Oberfläche angebracht werden, oder sie werden in das Material hineingearbeitet. Ein Beispiel dafür sind Auto-Armaturenbretter, die laufend «intelligenter», d.h. multifunktioneller werden. Einige  Anwendungs-Highlights aus den Vorträgen:

  • F&P Robotics in Glattbrugg baute einen Pflegeroboter. Zusammen mit dem CSEM Muttenz wurde das Gerät mit einem Tastsinn ausgestattet: Auf dem Greiferpaar des Roboters wurden ortsauflösende Foliensensoren angebracht, deren Leistungsfähigkeit trotz der erforderlichen Verformung nicht beeinträchtigt wird. Gesteuert wird der Sensor-Patch mittels einer Smartphone-App.
  • Bei herkömmlichen Beatmungsgeräten erfolgt die Druckmessung und -regulierung im Gerät selbst. Im Rahmen eines Entwicklungsprojekts ist es jedoch gelungen, einen Sensor an der Spitze des einzuführenden Beatmungsschlauchs anzubringen. Damit wird eine Druckmessung direkt in der Lunge möglich.
  • Formgedächtnis-Legierungen kennt man bei Metallen. Nun hat das Unternehmen Huntsman ein Konzept für Spezialkunststoffe entwickelt: Werden solche Kunststoffe – zum Beispiel eine Brille – ungewollt verformt, so lässt sich durch Erhitzung erreichen, dass das Teil seine ursprüngliche Form wieder einnimmt.
  • Die WHO schätzt, dass 5 bis 10% aller Vakzine während der Verteilung zu den Impfstellen verderben. An der EPFL wurde nun ein günstiger und auf natürlichen Rohstoffen basierender  Typ von Einweg-Frostindikator entwickelt, der es ermöglicht, auch unter 0°C über einen weiten Temperaturbereich die korrekte Lagerung nachzuweisen.

Weitere Workshops folgen

Die Diskussionen während und im Anschluss an diesen ersten Workshop zeigten, dass die Themen Sensorik, Aktuatorik und smarte Werkstoffe einem grossen Bedarf entsprechen. Anregungen und Themenvorschläge zur Workshopreihe sind weiterhin willkommen. Wir freuen uns darauf, Sie in neuen Jahr – hoffentlich wieder physisch – zum zweiten Workshop der Reihe begrüssen zu dürfen.

Weitere Fotos aus der zum Streaming-Studio umfunktionalisierten Aula des Technoparks Aargau finden Sie hier. Dort können die registrierten Teilnehmenden des Anlasses weiterhin die Referate herunterladen und den Livestream ansehen.

(nano.swiss / R. Mäder / M. Morstein)

Bilder: Nadine Zielinski