Swissmem ist der grösste Industrieverband der Schweiz. Direktor Stefan Brupbacher über kollaborative Innovation, das Investitionsverhalten der KMU und die Bedeutung eines robusten Lobbyings in Bern und Brüssel.
Die Frage muss erlaubt sein, Herr Brupbacher: Ist Swissmem auch für kleine und mittlere Unternehmen da?
Stefan Brupbacher: Unbedingt. 90 Prozent unserer 1400 Mitglieder sind KMU; darunter auch Kleinfirmen mit nicht mehr als einem Dutzend Mitarbeitenden. Aus dem Aargau kommt mir spontan die Carbomill aus Seon in den Sinn; ein Bearbeiter von Faserverbundstoffen, der Teile für Satelliten und Formel-1-Wagen produziert.
Wie informieren Sie sich über einzelne Firmen?
Ich bin viel unterwegs. Der Unternehmergeist und die Kreativität, denen ich vor Ort begegne, machen meinen
Job so faszinierend.
Die Wirtschaft schwächelt. Die konjunkturellen Aussichten gerade in den Technologiebranchen sind unsicher. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?
Sie ist angespannt bis sehr angespannt.
Trotzdem hört man nur wenige öffentliche Klagen …
Das Geschäft mit Investitionsgütern war und ist zyklisch. Ausserdem leben wir in Zeiten des Fachkräftemangels. Jammern wäre in dieser Situation kontraproduktiv. Wir müssen im Gegenteil klarmachen, dass unsere Industrie attraktive und zukunftsfähige Jobs zu bieten hat.
«Förderorganisationen wie das HTZ sind unsere Partner.»
Stefan Brupbacher ist studierter Jurist. Vor seiner Berufung zum Direktor von Swissmem war der Stadtzürcher fünf Jahre lang Generalsekretär des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF). Nebenberuflich engagiert sich der 57-Jährige als Beiratsmitglied der ZHAW School of Engineering und als Verwaltungsrat von inspire, einem Partner der ETH Zürich für den Wissens- und Technologietransfer auf dem Gebiet der Produktionstechnik.
Trotz des in ganz Europa festzustellenden Trends zum Offshoring von industriellen Arbeitsplätzen?
Der Standort Schweiz stemmt sich seit Jahren gegen diesen Trend. Wir sind das einzige vergleichbare Land, das heute mehr Industriearbeitsplätze anbietet als noch vor 20 Jahren. Möglich machte es ein Produktivitätswachstum, das über die ganze Industrie gerechnet bei 60 Prozent pro Mitarbeitendem liegt, sowie ein Anstieg der Wertschöpfungsintensität in ähnlicher Höhe. Die Zauberworte heissen Innovation und Marktzugang.
Zwei Jahre nach Ihrem Amtsantritt als Swissmem-Direktor lancierten Sie das Programm innovate@swissmem. Worum geht’s?
Studien zeigten uns, dass in einem durchschnittlichen Jahr rund 40 Prozent der Unternehmen in der Tech-Industrie eine EBIT-Rate unter fünf Prozent ausweisen. Mit solchen Margen lassen sich F+E-Abteilungen, die das ganze Kompetenzspektrum für die Weiterentwicklung von Produkten und Prozessen abdecken, nicht finanzieren. Die Lösung heisst kollaborative Innovation. Es geht um den projektbezogenen Beizug von externem Knowhow; sei es von Lieferanten, Partnern, Kunden oder Hochschulen.
Das durchschnittliche Schweizer KMU tut sich schwer damit. Warum?
Viele Unternehmen wurden erfolgreich, weil ihre Geschäftsgeheimnisse auch ihre Erfolgsgeheimnisse waren. In Innovationspartnerschaften hingegen müssen die Beteiligten ihre Rechte am gemeinsam generierten geistigen Eigentum immer wieder neu aushandeln. Das ist für viele Unternehmen ungewohnt. Der Kulturwandel braucht Zeit. Aber wir sehen, dass er stattfindet.
Was tut Swissmem konkret, um Innovationspartnerschaften zu fördern?
Den Start machten wir 2021 mit einer Sensibilisierungskampagne. Seither haben wir viel internes Knowhow aufgebaut: Wir vermitteln Innovations-Coaches, stellen ein Netzwerk von innovativen Unternehmen, Hochschulen und Forschungsorganisationen zur Verfügung und unterstützen vielversprechende Pilotprojekte wie das Bühler Exploration Lab.
Worum geht es dabei?
Das Exploration Lab ist eine Co-Produktion der St. Galler Bühler Gruppe und des Feasibility Lab der ETH Zürich. Drei Projektleiter des ETH-Labors und acht Studierende bauten in Uzwil Prototypen, die zu schnelleren Investitionsentscheiden führen sollen. Unterdessen wird überlegt, wie auch Drittunternehmen von diesem Programm profitieren könnten.
Die Kollaboration von Unternehmen und Hochschulen ist ein Eckpfeiler der nationalen und vieler kantonaler Innovationsstrategien. Wie sehen Sie die Rolle von Swissmem in diesem Netzwerk?
Wir wissen, welche Hochschulen und Universitäten über die von unseren Firmen benötigten Kompetenzen verfügen und kennen die internationalen Förderinstrumente. Aber wir machen den bestehenden Innovationsfördereinrichtungen keine Konkurrenz. Im Gegenteil: Die nationalen, regionalen und kantonalen Förderorganisationen wie das HTZ oder ANAXAM sind unsere Partner. Wir sind subsidiär tätig und konzentrieren uns auf das, was andere nicht können.
Zum Beispiel?
Als Verband versuchen wir, die Rahmenbedingungen für das ganze Ökosystem zu verbessern. So haben wir erreicht, dass bei der Einfuhr von industriellen Vorprodukten seit dem 1. Januar 2024 keine Zölle mehr fällig werden. Die Schweiz ist das einzige Land, das in den letzten 20 Jahren diesen Schritt zugunsten seiner innovierenden Unternehmen gewagt hat. Wir haben in Bern jahrelang für dieses Anliegen lobbyiert.
Würden Sie sagen, dass Swissmem in Bern gehört wird?
Ja, und nicht nur in Bern. Wir engagieren uns auch in der europäischen Vereinigung der Tech-Industrie-Verbände. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Die europäische Maschinenverordnung, die voraussichtlich 2027 in Kraft treten wird, soll sicherstellen, dass neue Maschinen den geltenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen entsprechen. Wir haben zusammen mit unseren Partnerverbändern erreicht, dass bei Maschinen, die nicht besonders risikobehaftet sind, die Eigenzertifizierung auch künftig erlaubt sein wird. Wer beruflich mit Zulassungen zu tun hat, weiss, dass den Unternehmen damit ein grosser finanzieller und zeitlicher Aufwand erspart bleibt.
Schauen wir in die Zukunft. Wie sieht Ihre langfristige Strategie aus?
Viele Schweizer Technologiebranchen gehören zum grenzüberschreitenden Alpine Industrial Cluster, der sich von Süddeutschland nach Norditalien und von Vorarlberg in den Osten Frankreichs erstreckt. Die Firmen in diesem Gebiet sind bereits vielfach verbunden, als Partner, Kunden und Lieferanten. Jetzt geht es darum, die innovationsbezogenen Kooperationen in diesem Netzwerk zu fördern und die Hochschulen besser zu integrieren. Die Unternehmerinnen und Unternehmer brauchen in der zunehmenden Komplexität von Regulierung und technologischem Fortschritt die bestmögliche Unterstützung.