Seriös, sicher und effizient soll jene digitale Plattform sein, über die das Aargauer Jungunternehmen Babsy Nannys vermittelt. Das nötige Wachstum kann nur über eine ausgeklügelte Webplattform erreicht werden. Deshalb sind das Hightech Zentrum Aargau und die Fachhochschule Nordwestschweiz mit im Spiel.

Die Funkenwerferin am Anfang dieser Start-up-Geschichte heisst Andrea Schöllnast (35). Die Österreicherin hatte die Idee, eine neuartige Lösung für die Nanny-Suche zu entwickeln. Mit dieser Idee setzte sie sich im Rahmen einer Semesterarbeit während ihres Masterstudiums in Business Administration auseinander. Schon damals beschäftigte sie sich mit Themen wie Demographie-Entwicklung, Chancengleichheit im Arbeitsmarkt und Innovationsmanagement. Die Feuerwehrfrau ist auch in der regionalen Familienpolitik aktiv. Selber ist sie zwar (noch?) keine Familienfrau. Aber das Thema Kinderbetreuung ging ihr nicht mehr aus dem Kopf.

«Es muss möglich sein, dass Eltern auch neben Beruf und Familie ihrer Selbstverwirklichung nachgehen können», sagt sie. Und: «Es kann nicht sein, dass sich jemand dafür schämen und rechtfertigen muss, wenn sie oder er für die Kinderbetreuung auf externe Unterstützung zurückgreifen.»

Andrea Schöllnast, Gründerin von Babsy

Start als Verein mit Handarbeit

Schöllnast wechselte in die Versicherungsbranche. Bei der Helvetia brachte sie ihre Projektidee in einem internen Innovationswettbewerb ein und konnte sie in einem Workshop vertiefen. Um das Vorhaben ausserhalb des Unternehmens weiterzuentwickeln, gründete sie gemeinsam mit einer Kollegin den Verein «Babsy» (www.babsy.ch) mit Domizil in Kaiseraugst. Heute arbeitet sie in Teilzeit im österreichischen Konsulat in Basel.

Seit Herbst 2018 vermittelt der Verein in der Region über Social Media Babysitterinnen und Babysitter. Der Bedarf, Betreuungsengpässe zu minimieren und eine Kinderbetreuung «24/7» auf die Beine zu stellen, wächst stetig. Bald zeichnete sich ab, dass Babsy als ehrenamtlich geführter Verein mit manuellem Betrieb früher oder später an Kapazitätsgrenzen stossen würde. Die Alternative lag auf der Hand: eine digitale Lösung, basierend auf einer «cleveren» App.

Nicht im juristischen Graubereich

Babsy ist ambitiös unterwegs. Sie will die Suche nach Kinderbetreuerinnen und -Betreuern auch für kurzfristige Einsätze, Notfälle und selbst für Randzeiten vereinfachen – dies zu Preisen, die sich auch eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern und durchschnittlichem Einkommen leisten kann. Babsy will sich aus jenem rechtlichen Graubereich heraushalten, in dem sich gewisse andere Nanny-Vermittler bewegen: grundsätzlich geht es um die Regelung der Sozialleistungen (zum Beispiel AHV-Prämien), haftungsrechtliche Fragen (sind die Kunden Arbeitgeber und die Babysitter Arbeitnehmer?) oder um die Unfallversicherung.

Das HTZ steigt ein

Auf der Suche nach technischen und finanziellen Fördermöglichkeiten stiess Babsy auf das Hightech Zentrum Aargau (HTZ) in Brugg. Seit 2019 ist Beat Dobmann, Technologie- und Innovationsexperte beim HTZ, involviert. «Die Projektidee leuchtete mir schnell ein», erzählt Dobmann und ergänzt: «Der Ansatz, dass Babsy latente Schwarzarbeit auf ein rechtlich solides Fundament stellen wollte, war mir sehr sympathisch.» Der Experte engagierte sich als Sparringpartner und Mentor. Er stärkte die businessmässige Orientierung des Projektteams und leistete Unterstützung bei der Erarbeitung des Businessplans für eine Machbarkeitsstudie – jenes bewährte Instrument, mit dem das HTZ bereits Hunderte von KMU-Innovationsprojekten fördern halt. Nicht zuletzt holte Dobmann als Forschungspartner für die Software-Entwicklung Spezialisten der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW an Bord: das Institut für Interaktive Technologien IIT unter Leitung von Prof. Doris Agotai.

Die besondere Herausforderung

Nun sind digitale Vermittlungs-Plattformen technisch kein Novum. Wo also liegt hier der «Challenge», die spezielle Herausforderung? «Die Innovation liegt zum einen in der rechtlich wasserdichten Abwicklung der Vermittlungsdienstleistung und zum anderen im Ansatz, Firmenkunden zu gewinnen, die pauschal bezahlen. Damit kann man das Geschäft skalieren, das heisst hochfahren, ohne dass man auf zahllose Laufkunden angewiesen wäre», erläutert Dobmann. Ein grosser Mehrwert soll somit aus der Minimierung der Transaktionskosten resultieren.

Mitte 2019 wurde die Machbarkeitsstudie gestartet. Der HTZ-Experte umschreibt das Projektziel: «Wir streben eine Software an, welche zwar alle möglichen Funktionen bietet, die aber auf Luxus verzichtet.» Angepeilt wird ein Prototyp einer webbasierten Anwendung, vergleichbar mit Dienstleistungen wie jene von Uber, airbnb oder Booking.com. Ein wichtiges Kriterium ist die Erfahrung der Benutzer, die «User Experience» (siehe Box: «Der Forschungspartner»).

Beide Seiten werden gecheckt

Im anvisierten Prozess haben neben der Vermittlungseffizienz auch die Seriosität und die Zuverlässigkeit einen grossen Stellenwert: Ein wechselseitiges Bewertungssystem und ein strenger Authentifizierungsprozess stellen einen hohen Qualitätsstandard sicher. Die Kunden durchlaufen ein Zertifizierungsverfahren. Zum Check der Babysitter-Kandidatinnen und -Kandidaten gehört zusätzlich zum Lebenslauf der Strafregisterauszug.

Die Community wächst

Im Frühjahr 2021 waren 220 Eltern beziehungsweise Elternteile und rund 100 aktive Babysitterinnen beim Verein registriert. Weitere 30 Babysitterinnen sind auf einer «Pausenliste» aufgeführt. Nur gerade zwei Männer finden sich unter den aktiven «Nannys», obschon die Nachfrage nach Babysittern wesentlich grösser ist, wie Babsy-Präsidentin Andrea Schöllnast sagt. Die Betreuungspersonen lassen sich in drei Segmente gliedern: Hobbysitter (Teenager und Studentinnen), Professionals mit zusätzlichen Qualifikationen und das Segment «Oma und jüngere Mütter».

2020 über 1000 Vermittlungen

Babsy ist mit der bisher erreichten Leistung sehr zufrieden. Nur gerade in fünf Fällen war eine Vermittlung nicht möglich. Im vergangenen Jahr gelangen 1040 Vermittlungen. Im ersten Coronas-Jahr zeigte sich, dass das Modell krisentauglich ist. Zu den besonderen Dienstleistungen gehört das Angebot, mit den «Juniors» gezielt Sport zu treiben, zu musizieren, ja auf Wunsch gar Sprachvokabeln zu büffeln. Viel Potential sieht Babsy bei Grossunternehmen mit zahlreichen Expats und Doppelverdienern, welche die Betreuung ihrer Kinder regeln müssen.

Im nächsten Jahr am Ziel?

Sechs Mitglieder engagieren sich im Verein Babsy. Das Team betreibt die Plattform beherzt, aber eben doch nur «händisch», also manuell. Babsy arbeitet nicht kostendeckend und der Spendenfluss ist offenbar nicht üppig. «Wir brauchen diese App, sie wird uns administrativ enorm entlasten», blickt die Gründerin nach vorn. Vor 2022 dürfte die Plattform nicht einsatzbereit sein. Dann wird sich auch die Frage stellen, ob die Vermittlungstätigkeit in eine GmbH oder AG überführt werden soll. Andrea Schöllnast bezeichnet die Unterstützung durch das HTZ als «sehr angenehm, lehrreich und für unsere Entwicklung sehr wichtig». Und die Kooperation mit dem FHNW-Institut sei «eine tolle Chance».

Der Forschungspartner: Nutzen auch für die FHNW

Handelt es sich beim «Fall Babsy» für ein typisches Projekt für das Institut für Interaktive Technologien IIT der FHNW? Dazu Institutsleiterin Prof. Dr. Doris Agotai: «An unserem Institut beschäftigen wir uns intensiv mit Fragen der User Experience, Benutzerführung und Informationsvisualisierung in der Softwareentwicklung. Auch im Projekt Babsy ist dieses Thema zentral. Hier geht es zudem um die Frage, wie der Prozess der Vertrauensbildung unterstützt werden kann. Dieser Prozess ist für die Applikation erfolgskritisch. Wir konnten hier Erkenntnisse aus dem Bereich ‘Human Computer Interaction’ einbeziehen und Designkonzepte ausarbeiten, die auf unterschiedliche Nutzergruppen zugeschnitten sind.»

Auf die Frage nach dem Nutzeffekt für das Institut antwortet Prof. Dr. Doris Agotai:

«In der Entwicklung haben wir die Prototypen laufend mit Endnutzern getestet und validiert, Daraus konnten wir weitere Erkenntnisse im Bereich der Vertrauensbildung gewinnen. Dieses Feld gewinnt in der Softwareentwicklung laufend an Bedeutung und ermöglicht einen Wissenszuwachs sowohl für künftige Projekte als auch für die Lehre.»