Das Sitzsystem Harmonica des Holzbiegewerks K. Winkler AG begeistert Architekten und Planer. Hergestellt wird die Innovation mit einer CAD-Schnittstelle, die das Zurzibieter Unternehmen mit dem Institut digitale Bau- und Holzwirtschaft der Berner Fachhochschule entwickelte.
Es dampft und zischt im Holzbiegewerk K. Winkler AG Felsenau. Mitarbeitende lassen Schnittholz in Dampfkesseln Feuchtigkeit aufnehmen. Wenn das Holz – Eiche, Buche oder Esche aus den umliegenden Wäldern – heiss und gesättigt ist, biegen sie es mit Pressmaschinen in die gewünschte Form, profilieren es mit Fräsen und Kehlschnitthobeln und legen es zur Trocknung aus.
«Die Produktion von Bughölzern», schwärmt Inhaber Roman Winkler, «ist eine uralte Kulturtechnik mit Ursprüngen im Bootsbau.» Eine Technik, die mit dem Wiener Kaffeehausstuhl von Michael Thonet um 1850 den Weg ins Industriezeitalter fand.
Das 1936 gegründete Holzbiegewerk Winkler war traditionell ein Zulieferer der Möbelindustrie. Die Manufaktur in Felsenau produzierte für Kunden wie Dietiker, Horgenglarus oder die Stuhl- und Tischfabrik Klingnau Hinterbeine, Sitzzargen und Rückenlehnen.
Mitte der 90er Jahre erodierte dieses Geschäft. IKEA und andere günstige Billiganbieter eroberten den Markt. Ein guter Teil der Möbelindustrie wanderte nach Osteuropa ab. Etliche Zulieferer gingen ein, und für Inhaber Roman Winkler ist klar: «Ohne die Ausdauer und Beharrlichkeit meines Vaters würde es diese Firma nicht mehr geben.»
Kurt Winkler stellte die Weichen Richtung Objekt- und Endkundengeschäft. Er erschloss den Markt für Bartresen, Handläufe und Sitzbänke. Die geschwungene Nussholzbank auf der Traminsel des Zürcher Paradeplatzes gilt noch heute als Muster für eine gelungene Aussenraumgestaltung.
Der Generationenwechsel erfolgte 2011: Der heute 54-jährige Betriebsökonom und Personalfachmann Roman Winkler kehrte von der ABB ins elterliche Unternehmen zurück. Er baute das Geschäft mit Architekten, Holzbauern und Schreinereien weiter aus und widmete sich der zentralen betriebswirtschaftlichen Herausforderung bei der Produktion von Bugholzteilen in Losgrösse 1: der fehlenden Möglichkeit, Halbfabrikate vorzuproduzieren. Die Folgen sind eine unruhige Auslastungskurve und Lieferfristen, die aufgrund der Holztrocknung Wochen betragen.
Gibt seinen Mitarbeitenden den Freiraum, den sie brauchen, um kreativ zu sein: Roman Winkler, Familienunternehmer in dritter Generation.
Die entscheidende Idee hatte Werkmeister Tim Kopetzki. Er experimentierte mit einer Bank, bei der die Bughölzer im rechten Winkel zur Sitzfläche gebogen sind und Lamellen bilden. Mit der Verwendung von kürzeren Rohlingen sollte das Brett besser genutzt und weniger Restholz anfallen.
Das Konzept mit den vertikalen Lamellen hatte aber noch mehr Potenzial. In Felsenau reifte das Konzept, mit identisch gebogenen Rohlingen individuelle Freiform-Sitzbänke zu produzieren.
An der Holzmesse Basel trafen Winkler und Kopetzki auf Reto Eggimann vom Hightech Zentrum Aargau. Die Rede kam auf die neue Designidee und Eggimann zog einen weiteren Aussteller hinzu: Simon von Gunten, Professor an der Berner Fachhochschule für Architektur, Holz und Bau (AHB). Auch von Gunten liess sich das Konzept schildern und stellte den Kontakt zu seinem Mitarbeiter Miro Bannwart her.
Jetzt ging alles sehr schnell: Wenige Tage später war die Machbarkeitsstudie mit dem Hightech Zentrum Aargau aufgegleist. Kopetzki und Bannwart gingen ans Werk. Der Werkmeister optimierte die handwerklichen Abläufe in Felsenau, Bannwart, Spezialist für angewandte Geometrie, setzte sich an den Bildschirm.
Er schrieb eine CAD-Schnittstelle, die ausgehend von den Kurvenradien einer Bank die Abmessungen der benötigten Bugholzlamellen berechnet. Ausserdem generiert das Tool die Konstruktionsdaten für den metallenen Unterbau.
Nun scheute Roman Winkler weder Kosten noch Aufwand, um aus der Idee in nur vier Monaten ein marktreifes Produkt entstehen zu lassen. An der «Giardina» 2023 feierte die Harmonica Premiere. Ästhetik und Sitzkomfort lösten bei Laien und Fachpublikum begeisterte Reaktionen aus.
Die erste Harmonica-Sitzbank ging in den Business Hub Circle am Flughafen Zürich. Das mit 22 Laufmetern längste Exemplar steht in der Altstadt von Chur. Und im März wurden acht grosse Freiformbänke auf der Dachterrasse der Mall of Switzerland im Luzerner Vorort Ebikon installiert.
Unterdessen sind die geschwungenen Sitzbänke aus Felsenau auch im Ausland gefragt. Der einstige Industriezulieferer Winkler ist zu einem gesuchten Partner von Landschaftsarchitekten und Designern geworden. So bestellte etwa der dänische Objektkünstler Ólafur Elíasson acht Rundbänke für ein neues Quartier der britischen Universitätsstadt Oxford. «Das neue digitale Wissen», sagt ein zuversichtlicher Roman Winkler, «gibt unserem Unternehmen richtig Schub.»
Tim Kopetzki (rechts) kam als Wandergeselle in die Schweiz. Seit 2017 ist der Norddeutsche Werkmeister bei Winkler. Das Design der Harmonica stammt von ihm. Miro Bannwart, ein gelernter Zimmermann, Architekt und Robotikspezialist, war zum Zeitpunkt der Machbarkeitsstudie wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachhochschule Bern. Dank seiner Software kann die geschwungene Bank effizient und stabil produziert werden. Seit August 2024 ist Miro Bannwart beim Holzbiegewerk Winkler in einem 40-Prozent-Pensum tätig. Er und Tim Kopetzki haben sich vorgenommen, dem Holzbiegehandwerk mit digitalen Werkzeugen neue Anwendungsfelder zu erschliessen. Ausserdem arbeiten sie konstant an neuen Freiformentwürfen.
«Es war faszinierend zu sehen, wie das
Holzbiegewerk Winkler mit einer Designidee
die Tür zur Serienproduktion aufstiess.»
Simon von Gunten ist Professor an der Berner Fachhochschule. Er betreute die Machbarkeitsstudie des Holzbiegewerks K. Winkler.
Das Departement Architektur, Holz und Bau der Berner Fachhochschule (BFH-AHB) gilt als nationales Kompetenzzentrum für den Werkstoff Holz. Warum?
Weil wir über eine lange Tradition in der Holztechnologie und der Kombination von Bildung und Forschung verfügen. Diese Ballung von Kompetenzen und Angeboten in den Schwerpunkten Holztechnologie und Holzbau sind tatsächlich einzigartig in der Schweiz.
An der BFH-AHB laufen durchschnittlich über 100 parallele Forschungsprojekte. Welche
Bedeutung hat die Machbarkeitsstudie für ein 12-köpfiges Holzbiegewerk?
Das Projekt mag vom finanziellen Volumen her klein gewesen sein. Doch die Idee mit den vertikalen Lamellen war bestechend und mir war klar, dass sich mit einer CAD-Schnittstelle eine grosse Hebelwirkung erzielen liesse. Ein geeignetes Tool würde es erlauben, Bänke mit organischen, unregelmässigen oder sogar mathematisch komplexen Kurvenverläufen zu realisieren.
Sie vernetzten Roman Winkler mit Miro Bannwart. Warum mit ihm?
Miro war zu jenem Zeitpunkt wissenschaftlicher Mitarbeiter in unserem Kompetenzbereich und hatte Erfahrung in der Planung und Umsetzung von Freiformen und mit dem parametrischen Programmieren.
Das müssen Sie erklären.
Parametrische Programme werden in der Architektur seit den 90er Jahren eingesetzt. Sie ermöglichen Entwürfe und Designs, die sich automatisch an bestimmte Variablen, eben Parameter anpassen; bei Winkler zum Beispiel an die vom Kunden gewünschten Kurvenradien.
Heute arbeitet Miro Bannwart unter anderem für das Holzbiegewerk K. Winkler. Die Hochschule hat er verlassen. Bedauern Sie das?
Ich habe die Zusammenarbeit mit Miro über die Jahre sehr geschätzt. Doch Wechsel von der Fachhochschule in die Industrie sind keine Seltenheit. Der Wissens- und Technologietransfer über Personen ist sehr effizient und bringt die ganze Branche weiter.