ProjektIdentic AI, Brugg

Wie im wirklichen Leben

#2305

Identic AI will den Möbelverkauf im Internet auf die nächste Stufe heben. Forschungspartner ist das Institut für Interaktive Technologien der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW.

Im Februar kam Xenia Vogt von der Consumer Electronic Show CES in Las Vegas zurück. «Das Interesse war riesig», berichtet sie. Die in der Wüste generierten Leads sind immer noch nicht vollständig abgearbeitet. Braucht die Jungunternehmerin einen Tipp, greift sie zum Hörer und ruft Roland Brack an. Der Aargauer E-Commerce-Pionier nimmt bei Identic AI ein Beratermandat wahr.

In die Schweiz, genauer nach Brugg, zog die gebürtige Weissrussin aus familiären Gründen. Die Finanzwissenschaftlerin bildete sich hier weiter und arbeitete in der IT-Industrie; zuletzt für eine international tätige KI-Beratungsfirma mit Sitz in London.

Projekte mit Kunden aus der Möbel- und Inneneinrichtungsbranche brachten sie schliesslich auf ihr heutiges Geschäftsmodell: die Entwicklung von KI-basierten Visualisierungen. «Wer bereit ist, einen vierstelligen Betrag für ein Sofa auszugeben, will mehr sehen als ein verpixeltes Bild in Kreditkartenformat», sagt Vogt.

Tatsächlich liegt der Onlineanteil im Schweizer Möbelgeschäft nur knapp bei über 10 Prozent. Zum Vergleich: In der Bekleidungs- und Modebranche sind es rund 30 Prozent, bei der Heimelektronik über 50 Prozent.

Xenia Vogt nahm Kontakt mit einem befreundeten Entwickler auf: dem heutigen CTO von
Identic AI, Evgeny Kokotov. Zusammen vertieften sie sich in den Multi-Modular-Approach der KI-Forschung. Dabei geht es kurz gesagt darum, mehrere generative KI-Modelle hintereinanderzuschalten.

Die Literaturrecherche versprach einiges. «Was wir jetzt noch brauchten», sagt Xenia Vogt, «war Knowhow im Bereich der Bildbearbeitung.» Sie wandte sich an Arzu Çöltekin vom Institut für Interaktive Technologien der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW, und im Januar 2024 begann eine vom HTZ finanzierte Machbarkeitsstudie.

«Xenia Vogt und ihrem Team von Identic AI ist es mithilfe der FHNW gelungen, in weniger als zwei Jahren aus einer Idee ein marktfähiges Produkt zu kreieren.»

Thomas Knecht, Technologie- und Innovationsexperte

Vom Produktbild zum 3D-Modell

Nach einem zweiten Projekt – unterstützt vom Forschungsfonds Aargau – war klar, dass die Verknüpfung von Large Language Models, Large Vision Models und Large Representation Models ausgezeichnete Resultate liefert. «Es gelang uns, aus einem oder zwei Produktbildern innerhalb von Sekunden hochwertige 3D-Modelle zu generieren», erzählt Xenia Vogt.

Im Sommer startete sie mit der Marktbearbeitung. Das Angebot: eine von Identic AI betriebene Software-as-a-service (SaaS), welche die Produktbilder im Content-Management System des Kunden abholt, bearbeitet und als 3D-Visualisierung wieder zurückspielt. Der Konsument vor dem Bildschirm hat ausserdem die Möglichkeit, sich von Identic AI ein 3D Modell schicken zu lassen. Füttert er das Tool mit Bildern seiner Wohnung, entsteht eine Private Extended Reality (XR), in der sich Tische, Stühle, Betten und Wandregale in der künftigen Umgebung platzieren und begutachten lassen.

Renommierte Anbieter wie Schubiger Möbel oder der Online-Möbelshop Beliani stellten ihre Plattformen für Pilotversuche zur Verfügung. Das Feedback von Kundenseite war so positiv, dass Vogt und die FHNW ein drittes Projekt starteten, diesmal mit Unterstützung von Innosuisse. Das Ziel ist die komplette Automatisierung des Rendering-Prozesses, der Darstellung von Lichteffekten, Farben und Texturen. 

Sieben Mitarbeitende beschäftigt Identic AI unterdessen. Das Unternehmen nimmt an denStartup-Programmen von Amazon, Nvidia und neuerdings auch von PwC teil. Drei Schweizer Business Angels haben sich mit Eigenkapital engagiert und seit Beginn dieses Jahres fliessen auch erste Erträge. Mehrere Pilotkunden haben langfristige Lizenzverträge unterschrieben.

Das Potenzial für den Möbelhandel ist gross: Studien zeigen, dass XR-Applikationen die Konversionsrate eines Online-Shops verdoppeln können. Gewisse Anbieter berichten
sogar von einer Steigerung bis zum Faktor zehn. Xenia Vogt ist daher überzeugt: «Unsere
Plattform kann den Möbelhandel nachhaltig verändern.»

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