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Mit KI die Kisten- und Palettenmontage optimieren

Das Hightech Zentrum Aargau vermittelt immer öfter auch Künstliche Intelligenz als Lösungstool. Zu den jungen Anwendungsfeldern gehören technische Prozesse – wie zum Beispiel in der Kistenfabrik AG in Merenschwand. Das KMU ist spezialisiert auf hölzerne Verpackungen nach Mass.

Welche Rolle spielt heute Künstliche Intelligenz (KI) im Rahmen jener Dienstleistungen, welche das Hightech Zentrum Aargau (HTZ) bei der Förderung von Innovationsprojekten von KMU erbringt? «Die Grundlagen der KI sind erarbeitet, sie hat 2023 den Sprung vom Forschungsgegenstand in Hochschulen in verlässliche industrielle Anwendungen in Rekordzeit geschafft», erklärt Bernhard Isenschmid, Technologie- und Innovationsexperte des HTZ. Er ergänzt: «KI ist zu einem etablierten Lösungstool avanciert, das wie selbstverständlich in die Entwicklungsarbeit integriert wird.» Welches Potenzial haben KI-Methoden zur Lösung von Herausforderungen von Industrie-KMU? KI werde in allen Unternehmensbereichen signifikante Veränderungen bewirken, ist Isenschmid überzeugt: «ChatGPT und Co. haben dies bereits im Bereich der Textgenerierung eindrücklich demonstriert. Weitere Felder werden sukzessive dazustossen, auch bei technischen Prozessen.»

Die Kistenfabrik Merenschwand

Vor über 100 Jahren wurde die heutige Kistenfabrik AG in Merenschwand als Küfereibetrieb gegründet. Sie befindet sich seit 1957 in Familienbesitz und wird in zweiter Generation vom Inhaber Dr. Peter Birrer geführt. Das Unternehmen hat sich vom Harrassen- und Kistenfabrikanten zu einem bedeutenden Anbieter von innovativen Verpackungslösungen entwickelt. Die Kistenfabrik mit rund 20 Vollzeitstellen bildet auch Lernende aus, Holzbearbeiter EBA sowie Holzindustriefachmänner und -frauen EFZ. Die Geschäftsentwicklung ist seit Jahren sehr solid.

Exklusive Massanfertigungen

Das Freiämter KMU ist schweizweit tätig. Rund zwei Dutzend Konkurrenzbetriebe sind im Markt. Die Kistenfabrik stellt vor allem Kisten und Paletten, aber auch Verschläge und Transportböden her. Kistenverpackungen werden vor allem an Hersteller von Maschinen und Anlagen geliefert, die exportstark sind. Paletten werden vorwiegend für den Transport von Kunststoffprodukten sowie Papier verwendet. Sämtliche Verpackungen sind Massanfertigungen aus einheimischem Fichten- oder Tannenholz. Die Losgrösse reicht von einem Stück bis zu wenigen hundert Einheiten. Verbunden werden die sägerauen Bretter und weitere Teile mittels Nägeln.

Manuelle Brettersortierung

Für die Herstellung von kleinen Paletten wird eine robotergestützte Anlage eingesetzt. Diese erhält Konstruktionsinformationen aus einer CAD-Datei. Für die grossen Paletten ist der Automatisierungsgrad niedriger. Weil sich die Endprodukte grössenmässig stark unterscheiden, werden zurzeit keine Standardlösungen für hochflexible Fertigungs- und Montageanlagen in diesem Produktbereich angeboten. Erschwerend kommt hinzu, dass die zu verarbeitenden Holzelemente sehr heterogen sind. Zudem können die Latten und Bretter nur an Stellen vernagelt werden, die astfrei sind und weitere Kriterien erfüllen. Mitarbeiter sortieren die Bretter von Hand. Ideen, wie sich diese Prozessschritte automatisieren liessen, hatten die «Kistenfabrikanten» aus Merenschwand schon längere Zeit im Kopf. Im Frühjahr 2020 klopfte Geschäftsführer Birrer beim HTZ an, das sich der Kistenfabrik 2019 präsentiert und für Innovationsprojekte empfohlen hatte.

Know-how aus Biel

Als geeignetster Forschungspartner wurde das Institut für digitale Bau- und Holzwirtschaft IDBH der Berner Fachhochschule BFH vom HTZ identifiziert und für eine Kooperation angefragt. Der Kompetenzbereich Digitale Fertigung des in Biel ansässigen Instituts ist seit längerem auf die Automatisierung und Digitalisierung in der industriellen Holzverarbeitung spezialisiert. Das Institut hat in einem anderen Zusammenhang bereits mit einem Kistenproduzenten ein Fördervorhaben umgesetzt.

Kleben ist keine Alternative

Den Auftakt bildete ein von der Innosuisse finanzierter Innovationscheck, anschliessend initiierte das HTZ eine Machbarkeitsstudie. Im Zentrum standen Untersuchungen zur Realisierung einer teilautonomen Fertigungszelle für die Montage von Kisten und Paletten mit variablen Massen. Selbstverständlich sollten auch diese Verpackungen hohen Qualitätsansprüchen wie insbesondere Stabilität entsprechen. Schnell wurde der Grundsatzentscheid gefällt, für den Zusammenbau auf Robotertechnik zu setzen. Nach umfangreichen, praxisnahen Tests in den Bieler Labors resultierte eine erste zentrale Erkenntnis bezüglich des Zusammenbaus: Klebetechniken kommen nur für einzelne Verbindungen als praktikable Alternative zum herkömmlichen Nageln in Frage, nicht aber als Lösung für den gesamten Fügeprozess. Einerseits aus Stabilitätsgründen, andererseits mit Blick auf die Entsorgung der Kisten – gewisse Klebstoffe wären schlicht zu wenig umweltverträglich.

Mit KI die Hölzer sortieren

Nächste Herausforderung: Die angestrebte Anlage soll fähig sein, die Qualität des zugeführten Materials selbstständig zu beurteilen, um nichtakzeptable Bretter aussortieren zu können. Auch sollen auf Kisten und Paletten individuelle Schriftzüge (Kundendaten, Seriennummern, QR-Codes etc.) angebracht werden können. Das System muss einen verlässlichen Qualitätsstatus liefern – mittels Kamera- und Sensortechnik und auf der Basis von Künstlicher Intelligenz, das heisst gut trainierter Algorithmen. KI kam beim Abgleich von Fotoaufnahmen von fehlerhaften Holzelementen zum Einsatz. Als Referenz diente eine eigens erstellte Datenbank mit über 40'000 Bildern, die mit neuronalen Netzwerken aussortiert wurden. Für den komplexen Sortierungsvorgang wurde eine Software entwickelt.

Bilanz der Projektpartner

Aus Sicht der Berner Fachhochschule fällt die Bilanz sehr positiv aus. Prof. Eduard Bachmann, Experte im Bereich Digitale Fertigung, meint: «Das Projekt war aus unserer Sicht sehr erfolgreich. Wir konnten für die Kistenfabrik den proof of concept liefern und haben auch selber viel gelernt.» Die Engineeringfragen rund um die Anlagentechnik seien durchaus lösbar. Allerdings stelle sich die Frage der Wirtschaftlichkeit; für ein KMU könne eine solche Anlage ein zu hohes Investment darstellen. Für die Qualitätssortierung habe man eine funktionierende Lösung erarbeiten können. Für die industrielle Umsetzung wären indes weitere Forschungsschritte nötig. Peter Birrer von der Kistenfabrik AG hebt die «neuen Erkenntnisse» bezüglich der Verbindungstechnik positiv hervor. Auch das Teilprojekt Visualisierung/Sortierung sei «ein guter Ansatz für Weiterentwicklungen». Einen besonderen Wert sieht Birrer darin, dass eigene Ideen von Dritten reflektiert wurden und das Unternehmen neue Ideen erhalten habe.

Auch Kaiser Engineering mit im Boot

Für das Innovationsprojekt mit dem HTZ holte die Kistenfabrik AG die Kaiser Engineering GmbH aus Rheinfelden mit ins Boot. Diese war bereits beim Bau einer ersten Fertigungslinie involviert und engagierte sich später im Rahmen einer gesonderten Machbarkeitsstudie des HTZ. «Deren Zweck war das automatisierte Einlernen eines neuronalen Netzwerkes, was für einfache Netze erreicht wurde», erklärt Roger Schweingruber, Geschäftsführer und Inhaber von Kaiser Engineering. Netze aus künstlichen Neuronen stellen einen Zweig der Künstlichen Intelligenz dar. Im vorliegenden Fall musste dieses Netz mit gelabelten Bildern so trainiert werden, dass Fehlstellen in Holzbrettern (Äste, Löcher, Harzgallen, Risse) entdeckt werden. In der Machbarkeitsstudie wurde nachgewiesen, dass das geprüfte System diese Aufgabe mit hoher Zuverlässigkeit ausführen kann. Kaiser Engineering entwickelte das Konzept für den Bau einer Anlage, die mittels Robotertechnik die verlangte Qualitätserkennung ermöglicht.

Potenzieller Systemintegrator

HTZ-Experte Bernhard Isenschmid erläutert: «Kaiser Engineering ist als potenzieller Systemintegrator einer Lösung ein weiterer Nutzniesser des Gesamtprojekts. Die Kistenfabrik hat die Chance auf Prozessverbesserungen in ihrem Betrieb. Kaiser Engineering kann das Resultat skalieren und dieses auch in verwandten Bereichen anwenden.» Kaiser Engineering, 1972 gegründet, baut Sondermaschinen. Mess-, Steuer- und Regeltechnik sowie Roboterlösungen und Bildverarbeitung sind weitere Tätigkeitsbereiche. Das sehr gut ausgelastete Unternehmen mit 16 Mitarbeitenden ist auch in einer Reihe von EU-Staaten tätig. 2006 dislozierte Kaiser von Magden nach Rheinfelden.