Der Grossküchenhersteller ELRO löst eine Modellreihe ab, die für über drei Viertel des Umsatzes steht. Ein digitaler Zwilling beschleunigte das Engineering.

Das Geschäft mit Druckgarpfannen und Kochkesseln für Grossküchen dreht langsam. Die aktuelle 2300er-Serie der ELRO Werke AG kam vor gut 15 Jahren auf den Markt. Sie gewann zahllose Branchenpreise und sorgte dafür, dass das Unternehmen vom amerikanischen Misch­konzern ITW aus Glenview, Illinois übernommen wurde.

Erich von Arx ist F+E-Leiter von ELRO. Er erinnert sich an eine Sitzung mit ITW-Mitarbeitern, die extra aus Paris nach Bremgarten gekommen waren: «Man sagte uns, dass die bestehende 2300er-Serie durch eine neue Produktreihe abzulösen sei, die nicht nur leistungsfähiger, sondern auch günstiger sein solle».

Für einen Maschineningenieur wie von Arx eine reizvolle Aufgabe. «Ich sichtete meine Ressourcen und gleiste die Anstellung neuer F+E-Mitarbeiter auf», erzählt der 53-Jährige. Ausserdem holte er ein Anschreiben des HTZ aus der Schub­lade und rief in Brugg an.

Ein Brainstorming mit dem HTZ-Experten Reto Eggimann führte zur Idee, die nächste Apparate-Generation mit einer Wärmerückgewinnung auszurüsten. Eine Machbarkeitsstudie lieferte erste Anhaltspunkte und zeigte das energetische Optimierungspotenzial auf. Die Ausgangslage war klar: Das Küchenpersonal wünscht sich von den ELRO-Apparaten eine schnell verfügbare und hohe Wärmeleistung, während die Einkäufer von Werften, Spitälern und Kantinen neben dem Anschaffungs­preis auch die Energiekosten im Auge haben und verbrauchsarme Ausrüstungen bevorzugen. Kurzum: ELRO hatte ein klassisches Optimierungsproblemen.

In dieser Situation stellte der HTZ-Experte den Kontakt zu Ulf Christian Müller vom Kompetenzzentrum Fluidmechanik und numerische Methoden der Hochschule Luzern her. Müller schlug die Erstellung eines digitalen Zwillings vor. Eine vom HTZ begleitete Machbarkeitsstudie wies den Weg und die Folgestudie – mitfinanziert vom Forschungsfonds Aargau – zeigte auf, dass das scheinbar Unmögliche möglich war: Kürzere Garzeiten bei markant sinkendem Energieverbrauch.

Dämpfen, kochen, schmoren, fritieren und braten

Jetzt war Erich von Arx am Zug. Im ELRO- Labor wurden bei Maximaltemperaturen von bis zu 250 Grad Celsius gedämpft, gekocht, frittiert, geschmort und gebraten. Wärmebildkameras, Thermometer, Druck- und Stromsensoren erhoben das Verhalten von Apparaten und Kochgut. Die Daten gingen zu Ulf Christian Müller, der sie in seine Simulationswerkzeuge pflegte. «Jetzt waren wir in der Lage, unzählige virtuelle Experimente anzustellen», sagt Erich von Arx. Mitte 2023 erfüllte die geplante 2400er-Serie die Anforderungen bezüglich Garleistung und Verbrauch. Kurz darauf begann in Bremgarten die Investitionsphase. Für den Aufbau neuer Lieferketten und die Anschaffung neuer Maschinen steht ein siebenstelliger Betrag zur Verfügung.

Auf einen Blick

Das HTZ suchte für die ELRO Werke AG einen geeigneten Forschungspartner und stellte den Kontakt zum Kompetenzzentrum Fluidmechanik und numerische Methoden der Fachhochschule Luzern her. Nach einer begleiteten Patentrecherche beim Institut für Geistiges Eigentum IGE unterstützte das HTZ die Initiierung und Durchführung einer Machbarkeitsstudie (MBS). Für das Folgeprojekt konnte die Unterstützung des Forschungsfonds Aargau gewonnen werden.

Interview mit Ulf Christian Müller, Professor am Institut für Maschinen- und Energietechnik der Hochschule Luzern HSLU

«Bald nicht mehr wegzudenken».

Er hat jahrelange Erfahrung mit digitalen Zwillingen: Ulf Christian Müller, Professor am Institut für Maschinen- und Energietechnik der Hochschule Luzern HSLU. 

Als Laie stellt man sich unter einem digitalen Zwilling das virtuelle Abbild einer Maschine oder eines Geräts vor. Ist es so einfach?

Ja und nein. Der Zwilling ist ein Abbild, aber kein statisches. Entscheidend ist der Faktor Zeit. Technisch gesprochen ist ein digitaler Zwilling eine 1D-Simu­lation. Er beschreibt die Verhaltens­änderungen eines technischen Gerätes in all seinen Aspekten: Von der Gestalt und der Materialität, über die Mechanik und die Wärmeflüsse bis zu den elektrischen Signalen.

Der Einsatz von digitalen Zwillingen wird von Experten immer wieder als «Game Changer für KMU» bezeichnet. Warum?

Gegenfrage: Was ist Innovation?

Man hat eine Idee, probiert sie aus, testet und hat die nächste Idee…

Genau. Es geht im Kern ums Experimentieren. Mit einem digitalen Zwilling lässt sich vor allem die Phase des Testens um Faktoren verkürzen. Der Ingenieur sieht  innert Minuten, ob seine Idee funktioniert oder eben nicht. Die Simulation wird zum Turbolader für den ganzen Innovationsprozess.

Und inwiefern können KMU besonders von 1D-Simulationen profitieren?

Bei kleinen Unternehmen fehlt es oft  an Test- und Messinfrastrukturen. Mit dem digitalen Zwilling erhalten sie eine  absolut vollwertige virtuelle Laborinfrastruktur.

Zurzeit nutzt nur ein Bruchteil der KMU die Chancen der multiphysikalischen Simulation. Warum?

Die Voraussetzung für die Arbeit mit digitalen Modellen ist ein tiefes Verständnis der physikalischen Prozesse in einem Gerät oder eine Maschine. Viele Unternehmen scheuen den Initialaufwand für die Aufbereitung der nötigen Daten und Zahlenreihen. Ich bin jedoch der festen Überzeugung, dass 1D-Simulationen in den kommenden Jahren zu einem Standarttool in der Produktentwicklung werden.

Was macht Sie so sicher?

Immer mehr KMU werden erkennen, dass sie ohne die Beschleunigungs­effekte von digitalen Modellen ins Hintertreffen geraten. Dies umso mehr, als Grossfirmen – zum Beispiel aus der Automobilindustrie – ihre Produkt­simulationen bereits mit KI-Modellen verknüpfen und so das Engineering so noch einmal effizienter machen.

 

Die KI wird gewissermassen zum Booster für den Turbolader?

Das kann man so sehen. Der digitale Zwilling wird zur Lernumgebung für neuronale Netze, welche die Geräte selbständig optimieren.